Zerstörte Hoffnungen, neue Herausforderungen. Die Erwerbssituation ostdeutscher Frauen in den frühen 1990er-Jahren
Der Umbruch 1989/90 und der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik führten zu großen Verwerfungen auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt. Frauen waren in besonderer Weise betroffen. Viele Frauen kämpften daher in parlamentarischen oder außerparlamentarischen Initiativen um Erwerbsarbeit.
Niedergeschlagenheit herrschte am Abend des 18. März 1990 bei den Aktivist:innen der Fraueninitiative Leipzig (FIL). Aus der ersten (und zugleich letzten) freien Wahl zur Volkskammer der DDR war das Bündnis Allianz für Deutschland, und damit vor allem die CDU, als Sieger hervorgegangen. An den gesellschaftlichen Umbruch 1989/90 hatten einige Initiativen und Protagonistinnen der ostdeutschen Frauenbewegung die Hoffnung geknüpft, „zum ersten Mal in der Weltgeschichte vielleicht wirklich so etwas wie die Gestaltung einer feministischen Gesellschaft beginnen zu können“.
Doch die Bürger:innen hatten für den schnellen Beitritt zur Bundesrepublik votiert statt für einen reformierten Sozialismus oder gar einen feministischen Gesellschaftsentwurf. Cornelia Matzke beschrieb am 21. März 1990 in der Leipziger Zeitschrift Frauenblätter die Stimmung am Wahlabend: „Ist mit Frauen kein Staat zu machen? […]‚ Sehen denn die WählerInnen nicht, was da auf uns zu kommt.’“
Frauen(arbeit) in der DDR
Zum Jahresende 1989 waren 91 Prozent aller erwerbsfähigen Frauen in der DDR berufstätig oder befanden sich in Ausbildung und Studium.
Gleichwohl blieben auch in der DDR die Produktionsverhältnisse Geschlechterverhältnisse. Sozial- und Familienpolitik richtete sich vor allem an Frauen beziehungsweise Mütter, nicht jedoch an Männer. Frauen oblag dementsprechend der Großteil der Reproduktionsarbeit. Zwar bestanden in den 1980er-Jahren kaum noch Qualifikationsunterschiede, trotzdem waren Frauen vor allem im reproduktiven, nicht-produzierenden Sektor, etwa im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen, tätig. Die Löhne in diesen Arbeitsbereichen waren niedriger als in männerdominierten Berufen, sodass Frauen weniger zum Familieneinkommen beitrugen.
Eine völlig neue Erfahrung: Erwerbslosigkeit
Mit dem gesellschaftlichen Umbruch 1989/90 setzte in Ostdeutschland ein grundlegender Strukturwandel ein. Die Umstellung von der Plan- zur Marktwirtschaft war von Deindustrialisierung und hoher Arbeitslosigkeit begleitet. Die Erfahrung der Erwerbslosigkeit war für die Menschen in der späten DDR völlig neu, war sie doch seit dem Ende der 1950er Jahre aus der sozialen Realität verschwunden gewesen.
Die Arbeitslosenquote stieg zwischen Ende 1990 und September 1993 von 4,9 auf 16,2 Prozent an. Etwa ein Drittel der noch 1989 Erwerbstätigen hatte 1993 keinen Arbeitsplatz mehr. Frauen waren hiervon besonders betroffen: Ihr Anteil an den Erwerbslosen betrug 1991 58,1 und 1993 63,9 Prozent. Dies lag beispielsweise daran, dass sich Abwicklungen und Kündigungen in den Bereichen häuften, in denen überwiegend Frauen beschäftigt waren.
Bei Einstellungen und Entlassungen machte sich nun, wie zuvor auch in der Bundesrepublik, eine geschlechtsspezifische Diskriminierung bemerkbar. So wurden bevorzugt Männer, aber kaum noch Mütter mit Kleinkindern oder ältere Frauen beschäftigt.
Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen
Bund, Länder und Kommunen versuchten, der Situation mit verschiedenen Fördermaßnahmen beizukommen. Arbeitsmarktpolitische Eingriffe wie Kurzarbeit, Lohnkostenzuschüsse, Anpassungsqualifizierungen, betriebliche Einarbeitung, Weiterbildung, Umschulung oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) wurden auf den Weg gebracht. Doch die Schritte zur Abmilderung des Strukturwandels entpuppten sich meist als bloße Übergangslösungen.
Der UVF kritisierte, die Bundesregierung präsentiere ABM als „Wundermittel“.
Proteste und Initiativen der ostdeutschen Frauenbewegung
Nicht nur Cornelia Matzke erwartete nach der Volkskammerwahl im März 1990 eine Verschlechterung der Situation von Frauen im Osten. Im UVF, in der FIL, am Frauenpolitischen Runden Tisch und in Gewerkschaften organisierten sich Frauen gegen die massenhafte Arbeitslosigkeit. Sie engagierten sich in Bundestag, Landtag, Stadtrat und unabhängigen Frauenprojekten für den Erhalt wichtiger sozialpolitischer Maßnahmen der DDR und die Verbesserung der aktuellen Lebensbedingungen von Frauen.
So stellte die FIL schon im April 1990 in ihrem Programm klar: „Wenn jetzt vorrangig Frauen das Heer der Arbeitslosen stellen sollen, ist das auch eine Form der Diskriminierung der Frau.“
Der Landesverband des UFV Sachsen stellte im Oktober 1992 einen Antrag zum Beschluss an den UFV-Bundeskongress und hielt fest, dass Frauen „als Reservearmee auf dem Arbeitsmarkt und als billige und gut ausbeutbare Kräfte für alle reproduktiven Arbeiten der Gesellschaft benutzt“
Kampf gegen den Abbau von ABM
Die Bundesregierung kündigte Ende 1992 Kürzungen von ABM sowie Einsparungen auf dem Gebiet der Kultur- und Sozialförderung an. Dies betreffe „Initiativen, Projekte, Vereine und kommunale Einrichtungen im Kultur- und Sozialbereich und besonders die Frauen- und Jugendarbeit“
In einem offenen Brief an Kommunal- und Landespolitiker:innen berichtete der Ausschuss, welche soziale und kulturelle Arbeit durch ABM und Ehrenamt gestemmt werde und verdeutlichte, was der Abbau der ABM im Jahr 1993 bedeuten würde. Die Unterzeichner:innen forderten, Initiativen, Projekte, Vereine und kommunale Einrichtungen personell und finanziell in die Lage zu versetzen, ihre Tätigkeiten fortsetzen zu können. Darüber hinaus sollten „ABM in feste Stellen“ überführt sowie „tariflich geschützte[n] Arbeitsverhältnisse[n]“ geschaffen werden.
Die Vereinigung beider deutscher Staaten war von einer massiven Umgestaltung aller gesellschaftlichen Bereiche Ostdeutschlands begleitet. Um dem massiven Stellenabbau zu begegnen, gründeten Frauen Initiativen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Sie kämpften für die Anerkennung der Reproduktionsarbeit, eine Quotierung bei Entlassungen und Einstellungen, gleichen Lohn, sozialpolitische Maßnahmen – also für eine bessere, feministische Gesellschaft. Einige ihrer Errungenschaften wie Mütterzentren, Frauenhäuser, Frauenkulturzentren oder feministische Archive sind noch heute wichtige Anlaufstellen für LGBTIQs.
Stand: 23. Januar 2020
Verfasst von:
Karin Beckmann
Empfohlene Zitierweise:
Karin Beckmann (2020): Zerstörte Hoffnungen, neue Herausforderungen. Die Erwerbssituation ostdeutscher Frauen in den frühen 1990er-Jahren, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv