„Gleiche Rechte und doppelte Pflichten“ – Frauenpolitik in der DDR durch die Brille der Für Dich gesehen
„Gleiche Rechte und doppelte Pflichten“ – Frauenpolitik in der DDR durch die Brille der Für Dich gesehen
„Für sie, die berufstätige Frau mit Kindern, ist FÜR DICH im Januar 1963 geboren worden.“ Drei Jahrzehnte begleitete die Frauenzeitschrift Frauen und Männer durch ihren DDR-Alltag. Themen waren Lohnarbeit und Qualifikation, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Partnerschaft, Tipps zur rationellen Haushaltsführung und „praktische Mode für die berufstätige Frau.“
Recht auf Arbeit und legaler Schwangerschaftsabbruch – Die Errungenschaften der DDR-Frauenpolitik
„Der gesellschaftliche Fortschritt läßt sich exakt messen an der gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts“
Die Gründung von Frauenausschüssen in den Betrieben wurde in gleicher Geschwindigkeit vorangetrieben, wie die Reformierung des Bildungssystems. Bereits 1963 waren ein Drittel aller Volkskammerabgeordneten weiblich.
Diese und andere frauenpolitische Errungenschaften waren zentrales Thema aller Ausgaben der Frauenzeitschrift Für Dich. Die Frauen in der DDR gingen demnach einer rosigen Zukunft entgegen, in der Frauenförderung und Frauenpolitik überflüssig werden, da sie in allen gesellschaftlichen Bereichen den Männern vollkommen ebenbürtig sind. Von Beginn an war der sozialistische Staat bemüht, der marxschen Losung zu entsprechen und damit den Beweis der sozialistischen Überlegenheit gegenüber dem kapitalistischen Ausland zu erbringen. Und bereits ab Mitte der 1970er Jahre galten „alle klassischen Forderungen an die Lösung der Frauenfrage [als] erfüllt.“
„Warum es in der DDR keinen Feminismus gibt“ – Die Rede von der vollzogenen Gleichberechtigung
„Weil [der Frauen] Fleiß, ihr Ehrgeiz, ihre gute Arbeit, zu unserem Staat letzten Endes als Ausdruck völliger Gleichberechtigung der Frau doch eine der sozialistischen Gesellschaft eigene Besonderheit ist.“
Von dem neuen Mann ist da die Rede, der sich seiner Verantwortung in Haushalt und Familie stellt. Machen Frauen dennoch vereinzelt Diskriminierungserfahrungen handele es sich dabei nur noch um Ausrutscher.
Aber auch andere Stimmen kommen in der Für Dich zu Wort, die konstatieren, dass es mit Gesetzen und Verordnungen allein nicht getan ist und es darum ginge, die Bedingungen zu schaffen, dass Frauen ihre Rechte im vollen Umfang wahrnehmen können.
Als größte Hürde auf dem Weg zur Gleichberechtigung erkannte die Für Dich die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf v.a. für berufstätige Mütter.
Das Konzept, nach dem sich Gleichberechtigung an der weiblichen Berufstätigkeit messen ließ, sah kein Konzept für die dennoch anfallende Hausarbeit vor. Diese Tätigkeiten galten mit Lenin als „abstumpfende, niederdrückende Arbeit“ und waren auf ein Minimum zu beschränken.
Gemessen wurde die Gleichberechtigung aber ohnehin an der weiblichen Erwerbsquote und die bestätigte den Erfolg der staatlichen Sozialpolitik. „Warum es in der DDR keinen Feminismus gibt“? Der sei nicht nötig, da Männer und Frauen ihr kameradschaftliches Verhältnis Tag für Tag in den Betrieben bewiesen. „Diese Freundschaft macht uns überlegen gegenüber allem zickigen Emanzentum“ westlicher Couleur.
Klassenkampf statt Geschlechterkampf – Zum Emanzipationsverständnis in der DDR
Die raschen Bekundungen zur vollendeten Gleichberechtigung lagen wohl auch im gesellschaftlichen Verständnis von Emanzipation begründet. Diese realisiere sich demnach nicht nur durch gesellschaftliche Partizipation und die Abschaffung diskriminierender Gesetze, sondern auch durch die Beseitigung des Privateigentums. Und diese Kriterien habe man Mitte der 1970er Jahre eben schon erfüllt.
Bereits die sozialistischen Vordenkerinnen Clara Zetkin und Rosa Luxemburg waren davon überzeugt, dass die Frauenfrage ein Aspekt unter vielen der sozioökonomischen Bedingungen sei. Dieser Einschätzung folgte auch der sozialistische Staat und mit ihm die Für Dich. Sie war überzeugt, dass die Frauenunterdrückung nichts ist, was einer gesonderten Betrachtung bedarf: „Und nicht, ob Mann oder Frau ist entscheidend für eine emanzipierte Lebensgestaltung, sondern einzig und allein die Zugehörigkeit zu der Klasse der Besitzenden und der Besitzlosen.“
Nach 1989, als auch in Sachen Frauenpolitik in der DDR plötzlich viel infrage stand, wurden auch unter ostdeutschen Feministinnen Zweifel laut an der Gewissheit dieser Entwicklung. Vielmehr wurden nun in diesem Emanzipationsverständnis selbst frauendiskriminierende Elemente identifiziert. Die Frauen wurden demnach, wie so oft in der Geschichte so auch in der sozialistischen Gesellschaft, gezwungen, ihre Belange einer größeren Sache, hier der Klassenfrage, unterzuordnen. „Emanzipation der Frau: Nebenwiderspruch hat man ihnen lange gesagt.“
Aus der Gleichsetzung der Probleme der ArbeiterInnen mit den Problemen der Frauen resultierte eine Ignoranz gegenüber geschlechtsbezogenen Missständen, die es verhinderte, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu beseitigen. Im Gegenteil klammerte dieses Verständnis von der Befreiung der Frau existierende Männergewalt in der DDR ebenso aus, wie die diskriminierenden Zuständigkeiten von Frauen in der Familie. Das Problem war ja die Klassengesellschaft und im Fokus standen die Beförderung weiblicher Berufstätigkeit sowie die Befreiung des Proletariats aus der Knechtung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Das fehlende Verständnis von der spezifischen Qualität der Frauenunterdrückung führte zu einer Politik in der DDR, die man mit der Soziologin Hildegard Nickel als „patriarchalische Gleichberechtigungspolitik“
„Lieber einen mittelmäßigen Mann als eine sehr gute Frau“
Obwohl der Fokus der DDR-Gleichstellungspolitik auf dem Berufsleben lag, stießen die Frauen auch hier immer wieder auf Hindernisse. Wurde in der Für Dich bereits 1963 der Widerstand gegen Frauen in Leitungspositionen beklagt, gestaltete sich für Mütter auch noch in den 1980er Jahren die Berufstätigkeit als problematisch.
Angeprangert wurden beispielsweise Werkleiter, die einer Frau die Vollbeschäftigung wegen Schwangerschaft verwehrten oder Frauen im gebärfähigen Alter nicht ihrer Qualifikation gemäß einsetzten. Dies seien „betriebsegoistische Fehlentscheidungen“ und nicht im Sinne der DDR-Politik.
Was nicht in das staatliche Selbstverständnis der vollendeten Gleichberechtigung passte und auch in der Für Dich erst ab 1989 zur Sprache kam: Frauen arbeiteten zu 75% in schlecht bezahlten Frauenberufen und verdienten somit bis zu einem Drittel weniger als die Männer, die so doch wieder die Haupternährer der Familie waren. Frauen waren kaum in Leitungsfunktionen zu finden und alleinstehende Mütter machten den größten Anteil der Ungelernten aus (Wohlgemerkt waren 30% der Mütter in der DDR alleinerziehend!). Das ist die verschwiegene Kehrseite der Erfolgsmeldungen zu Berufstätigkeit und Frauenförderung in der Für Dich.
„Mein Bruder muß bloß Kohlen holen“
Mit diesen Worten leitete 1982 eine Dreizehnjährige einen Beschwerdebrief ein, der in der Für Dich für eine Welle der Entrüstung sorgte. Nahezu die gesamte Hausarbeit muss das Mädchen allein erledigen, während der Bruder mit der Haltung ‚Das ist keine Männerarbeit‘ seine Freizeit auskostete. Die Eltern verlassen sich auf die Tochter und loben den Sohn, wenn er dann doch etwas tut.
Die Für Dich wies diesen Erziehungsstil ebenso zurück wie der Leser Frank S.: „Diese Tradition paßt doch eigentlich gar nicht in unsere Zeit, in der die Gleichberechtigung herrscht.“
Der Staat versuchte zwar, mit sozialpolitischen Maßnahmen die Frauen zu entlasten, rechnete aber nicht mit den patriarchalen Familienstrukturen: Die Reduzierung der Arbeitszeit auf 40 Stunden pro Woche für Mütter oder der Haushaltstag für alle Frauen führten nicht dazu, dass sie mehr Freizeit hatten oder ihr gesellschaftliches Engagement ausweiten konnten. Prompt vernachlässigten Mann und Kinder ihre häuslichen Pflichten. Mutter hat ja jetzt mehr Zeit dafür. So trugen die frauenpolitischen Maßnahmen nicht ausschließlich zur Gleichberechtigung bei, sondern verfestigten andererseits die diskriminierende Arbeitsteilung.
Solcherlei Missstände, bei denen einzelne Unternehmer oder Familien und nicht der Staat am Pranger stand, wurden auch in der Für Dich thematisiert.
Ein Aspekt der DDR-Frauenpolitik jedoch, den Frauenrechtlerinnen nach 1989 als ‚Mutti-Politik‘ kritisierten, wurde in der Zeitschrift zumindest andiskutiert. 1976 veröffentlichte die Frauenzeitschrift einen Leserinnenbrief, in dem die Autorin kritisierte, dass die 40-Stunden-Woche nur den Müttern zustünde und nicht allgemein einem Elternteil. Frauen würde so wieder der klassische Zuständigkeitsbereich zugeteilt.
Die Für Dich-Redaktion rechtfertigte diese Politik mit der Zögerung vieler Frauen, leitende Positionen oder Qualifikationen wahrzunehmen. Dies sei ein Indiz, dass Frauen sich für die familiären Belange zuständiger fühlten. Die Maßnahme berücksichtige dieses Verhalten und sorge so für Bedingungen, die es den Frauen ermöglichen, ihre Rechte wahrzunehmen.
So nachvollziehbar die Argumentation ist, so deutlich wurde auch die Zementierung der traditionellen Arbeitsteilung durch diese Politik. Leidtragende dieser patriarchalen Zustände waren bereits junge Mädchen wie Steffi L.
Mit Charme und Arbeiterhose – Das Frauenbild in der DDR
„Teilt sich die berufstätige Frau ihre Zeit vernünftig ein, steht sie ständig in Verbindung mit den anderen Erziehungsinstitutionen…sorgt sie für gemeinsame Erlebnisse im Familienkreis, wird sie trotz knapper Zeit gut erzogene Kinder haben.“
„Zur ‚idealen Frau‘ gehören neben aller Weiblichkeit, Tüchtigkeit im Beruf, weltanschauliche Klarheit, politische Aktivität, Selbstbewußtsein und Durchsetzungsvermögen.“
Diese Zitate aus der Für Dich lassen vermuten, dass Frau-Sein in der DDR eine ganz schöne Zerreißprobe dargestellt haben muss. Gut qualifiziert sollte sie sein, voll berufstätig, politisch engagiert und eine vorbildliche Erzieherin ihrer Kinder. Das Kinderkriegen (möglichst zwei bis drei) stellte ebenso eine gesellschaftliche Erwartung dar wie das berufliche Engagement.
Wer von dem vorgesehenen, unvermeidlich überfordernden Lebensweg abwich, musste sich zumindest der Schnorrerei bezichtigen lassen. Die zahllosen Porträts in der Für Dichvon vollberufstätigen Frauen, die Kinder zu versorgen hatten und nach Feierabend noch ein Fernstudium und den Elternabend absolvierten, mussten auf Leserinnen, denen die Mehrfachbelastung mehr zu schaffen machte, einigermaßen verunsichernd wirken.
Letzten Endes stellt sich die Frage, wie viel der dargestellte Typus Frau mit der Realität zu tun hatte. Oder wurde die Frau vielmehr zur Projektionsfläche für weltanschauliche Ansichten und hier ein Frauenbild präsentiert, das „die wirkliche Frau nicht meint, sondern sie zum Prinzip erhebt“
Für die sozialistische Frau jedenfalls gab es klare Vorstellungen. Leitbilder für den Mann hingegen blieben doch recht vage, wie auch die Für Dich kritisch anmerkte.
Vom helfenden Mann – Bremsten die Männer die Gleichberechtigung aus?
„Ab und zu reparieren ersetzt keine regelmäßige Hilfe.“
Diese Zitate aus der Für Dich zeigen, wie widersprüchlich die Männerrolle wahrgenommen wurde. Nicht wenige Autorinnen waren überzeugt, dass die meisten Männer sich bereits gleichermaßen im Privaten engagieren, wie die Frauen im Beruf.
Über die Jahrzehnte hinweg mahnte andererseits die Für Dich die Männer zur stärkeren Beteiligung bei der Kindererziehung und im Haushalt und die Frauen auch 1989 noch zu mehr Geduld und Verständnis mit den Männern, da es eben schwerer sei, Privilegien abzugeben als zu erhalten.
Die Thematisierung patriarchaler Missstände in den Familien durchlief die staatliche Zensur einigermaßen unbeschadet; ebenso wie die Missbilligung der diskriminierenden Einstellungs- und Aufstiegspolitik einiger Betriebe. Kein kritisches Wort hingegen findet sich vor 1989 zum Fortgang der Gleichstellungspolitik des Staates. Nicht müde wurde die Für Dich, den Widerspruch jener Zustände zur eigentlich fortschrittlichen DDR-Gesellschaft derart mantraartig zu beteuern, dass sich die Frage aufdrängt, wer letzten Endes diese Gesellschaft noch ausmacht, wenn nicht jene beschriebenen Familien, FreundInnen, KollegInnen und Betriebsdirektoren, die in ihr leben und arbeiten.
Verfasst von
Sabrina Zachanassian
studierte Erziehungswissenschaften und Gender Studies und ist langjährige Projektmitarbeiterin in der Feministischen Bibliothek MONAliesA in Leipzig. Ihre Forschungsthemen umfassen unter anderem die Funktionsweise des Patriarchats sowie die Entstehung von Geschlechtsidentitäten.
In anderer Fassung am 29. April 2021 als Sabrina Zachanassian (2021): Frauenpolitik in der DDR durch die Brille der ‚Für Dich‘ gesehen, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv veröffentlicht: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/frauenpolitik-der-ddr-durch-die-brille-der-fuer-dich-gesehen