Zaunreiterin – eine Möglichkeit, gemeinsam Frausein zu durchdenken und zu diskutieren
Die Zeitschrift „Zaunreiterin" war die erste unabhängige Frauenzeitschrift in der DDR. Gegründet in Leipzig wollten die Herausgeberinnen mit dem Blatt eine feministische Gegenöffentlichkeit schaffen, die Frauen mit ihren Belangen und Erfahrungen Raum gab.
Beginn und Selbstverständnis
Mit dem Ende der DDR endete auch eine zwar prekäre, doch zumindest staatlicherseits thematisierte Gleichberechtigung von Frauen.
Sie spielten eine Rolle im öffentlichen Leben der DDR. Sie erreichten keine höheren Positionen, diese waren auch dort den Männern vorbehalten, sie trugen ebenso die Hauptlast aller reproduktiven Arbeiten und mussten den Spagat zwischen Lohnarbeit und Haushalt wie selbstverständlich auf sich nehmen. Doch Frauen konnten selbstständiger agieren, da sie ihr eigenes Geld verdienten. Ehescheidung und Schwangerschaftsabbruch waren legal. Doch nach dem politischen Umbruch schwand das, wenn auch nicht sonderlich ambitionierte, staatliche Engagement für Gleichberechtigung von Frauen und Männern und mit ihm das Selbstwertgefühl der Frauen. In diesem Kontext entstand die „Zaunreiterin als Vision einer weiblichen Gegenöffentlichkeit“.
Als also nach 1989 die Frauen und mit ihnen die frauenrelevanten Themen wieder einmal von der politischen Bühne verdrängt wurden, entstand die Zeitung mit dem Ansinnen, frauenpolitische Ziele öffentlich und politikfähig zu machen. Die Zaunreiterin reflektierte die „Realität von Frauen in dieser Zeit des politischen Umbruchs“
Entstehung einer feministischen Öffentlichkeit
Mit der Gründung der Zaunreiterin knüpften die Leipzigerinnen an das Zeitschriftenwesen der nichtstaatlichen DDR-Frauenbewegung an. Vor 1989 hatte es in der DDR bereits Frauenzeitschriften gegeben, jedoch ohne ausgeprägten gesellschaftskritischen, feministischen Anspruch: Es gab die Mode- und Kulturzeitschrift Sibylle, die Modezeitschrift Pramo und die Für Dich. Eine kritische Auseinandersetzung mit den ideologischen Wunschbildern der SED und den tatsächlichen Erfahrungen und Widersprüchen der Frauen fand in diesen Magazinen nicht statt. Infolgedessen gründeten verschiedene informelle Frauengruppen der nichtstaatlichen DDR-Frauenbewegung eigene Zeitschriften, wie zum Beispiel Lila Band, frau anders und Das Netz. In Ermangelung einer unabhängigen Öffentlichkeit in der DDR konnten diese Publikationen nur mit dem Schutzvermerk ‚nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch‘ in einer begrenzten Auflage erscheinen. Über diese Einschränkung diskutierten die Frauen der Zaunreiterin intensiv, da sie eine von der Kirche unabhängige Zeitung herausgeben wollten.
Bereits Pfingsten 1989 stellten die Leipzigerinnen ihr Zeitungsvorhaben beim Frauengruppentreffen in Jena vor, damals noch unter dem Namen Glashaus, der sich an den Titel der Samisdat-Zeitschrift GlasNot anlehnte. Zur GlasNot-Redaktion bestanden auch persönliche Kontakte. Erst mit den revolutionären Umbrüchen im Herbst 1989 war es möglich, in der DDR freie Zeitungen herauszugeben. Im Oktober 1989 erschien die Nullnummer als doppelbedrucktes A4-Blatt.
Redaktion und Produktion
Am Zeitungsprojekt beteiligten sich mehrere Frauen aus verschiedenen Kontexten, die ihr gemeinsames Interesse an den Problemen der Frauen in der DDR sowie der Wunsch einte, die politischen Entscheidungen nicht wieder den Männern zu überlassen. Keine der Frauen verfügte über eine journalistische Ausbildung oder entsprechende Vorerfahrungen. In Selbstverantwortung, geübt in der Kunst der Improvisation und ohne finanzielle Unterstützung gingen sie das Projekt an.
Sowohl die technischen als auch die finanziellen Produktionsbedingungen blieben von Anfang bis zur Einstellung der Zeitschrift prekär. Für die Herstellung der ersten Ausgabe war weder finanzielle noch die Unterstützung durch einen Verlag möglich. Die Frauen finanzierten die Herstellung und den Druck aus ihren eigenen privaten Mitteln. Erst als sich zu Beginn der 1990er-Jahre westliche Förder- und Vereinsstrukturen manifestierten, war es möglich, entsprechende Mittel zu beantragen. „Nach der vierten Ausgabe bekamen wir über Fördermittel einen Computer. Damit war dann vieles im Layout, Korrekturen und überhaupt in allen Veränderungen, ganz anders möglich“, erinnert sich Christine Rietzke.
Themen
Nicht nur in ihrer optischen Gestaltung, sondern auch in ihrer Themenwahl hob sich die Zeitschrift Zaunreiterin vom übrigen Angebot an Frauenzeitschriften deutlich ab. Die Frauen entschieden sich statt für eine sogenannte Bleiwüste für integrierte Fotografien und andere künstlerische Beiträge wie Zeichnungen oder Gedichte. Die Themen reichten von weiblicher Subjektwerdung über Berufstätigkeit, vom Kampf um das Abtreibungsrecht und die Neuregelung der Reproduktionsarbeit bis hin zur Auseinandersetzung mit dem Vaterbild und der Kindererziehung. Ferner enthielten die Ausgaben Porträts über Louise Otto-Peters, Irmtraud Morgner, Milena Jesenská und Audre Lorde.
Es gab Kontakte zu westdeutschen Frauenzeitungen, doch die Themen unterschieden sich sehr. Während die Frauen im Westen eher mit einem politisch korrekten Umgang mit Schwarzen Frauen oder Frauen aus anderen Teilen der Welt beschäftigt waren, ging es den Leipzigerinnen um die Sichtbarmachung ihrer eigenen Situation nach dem politischen Umbruch.
Blütezeit der ostdeutschen Frauenbewegungspresse
Die Presse der ostdeutschen Frauenbewegung erlebte mit den Umbrüchen im Herbst 1989 eine Blütezeit. In den neuen Bundesländern erschien nun eine Vielzahl an feministischen Frauenzeitschriften, zum Beispiel die Ypsilon in Berlin. Ab 1992 gab der UFV in Berlin die Weibblick heraus. Zwischen 1994 und 2001 erschien in Halle/Saale die LILITH – Zeitschrift aus Frauensicht.
In diesen feministischen Blätterreigen reihte sich auch die Zaunreiterin ein. Vor allem in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre entwickelte sich in Leipzig eine rege lokale Frauenbewegungspresse. Von 1990 bis 1991 erschien in Die Andere Zeitung, eine von Petra Lux redaktionell betreute ‚Frauenseite‘. Der StudentInnenRat der Universität Leipzig publizierte die Eventuell. Der Verein KuKuC gab zwischen 1993 und 1996 die Zeitschrift InFemme heraus.
Mit dem Abflauen der ostdeutschen Frauenbewegung seit Mitte der 1990er-Jahre geriet auch die Redaktion der Zaunreiterin zunehmend ins Straucheln. Bis zur letzten Ausgabe der Zeitung gab es immer wieder personelle Wechsel in der Redaktion und letztendlich zu wenige Frauen, die sich engagierten. Auch finanzielle Schwierigkeiten machten der Redaktion schwer zu schaffen, schließlich wurde die Zeitschrift mit der letzten Ausgabe 1995 eingestellt.
veröffentlicht 13. September 2018
Verfasst von:
Barbara Schnalzger
studierte Kulturgeschichte (BA) in Augsburg und Wien und European Studies (MA) in Leipzig und Wroclaw/Polen. Sie forscht zu feministischer Theorie und Praxis und ist Redaktionsmitglied der Zeitschrift outside the box - Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik. Sie lebt derzeit in Toronto/Kanada und beschäftigt sich mit marxistisch-feministischen Strömungen in der kanadischen Frauenbewegung.
Sabrina Weidner
studierte Erziehungswissenschaften und Gender Studies in Berlin und ist Mitarbeiterin der MONAliesA für das DDF-Projekt. Sie vertritt in Publikationen und Vorträgen einen materialistischen Feminismus und setzt sich kritisch mit queerfeministischen Ansätzen auseinander. Ihre Forschungsthemen umfassen u.a. die Funktionsweise des Patriarchats sowie die Entstehung von Geschlechtsidentitäten.
Empfohlene Zitierweise:
Barbara Schnalzger/Sabrina Weidner (2019): Zaunreiterin – eine Möglichkeit, gemeinsam Frausein zu durchdenken und zu diskutieren, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv