“Paris, Berlin, Bitterfeld – ein Modemagazin für DDR-Frauen”
Als „Vogue des Ostens“ wurde sie häufig beschrieben, mit dem Zusatz „Zeitschrift für Mode und Kultur“ wurde sie veröffentlicht. Fast vierzig Jahre lang war die Sibylle eine von elf Frauenzeitschriften, die im staatlich kontrollierten Pressesektor der DDR erschienen.
Um die gesellschaftliche Bedeutung der Sibylle zu erfassen ist es wichtig, die Bildsprache, die Modefotografie und die beteiligten Redakteur*innen und Fotograf*innen zu betrachten. Dass Sibylle gefallen und bis heute gewirkt hat, zeigten nicht nur die Verkaufszahlen und das Renommee der beteiligten Fotograf*innen, sondern auch die Ausstellungen zur Zeitschrift, die 2016 in der Kunsthalle Rostock
Vogue, Elle, Sibylle
Ihren Namen bekam die Sibylle von ihrer ersten stellvertretenden Chefredakteurin Sibylle Boden-Gerstner, die als verfolgte Jüdin in Paris Malerei studierte und später in der DDR als Kostümbildnerin arbeitete. Sie prägte Sibylles Ausrichtung und unter ihrer Leitung bekam die Zeitschrift attestiert, „zu französisch“
Kaufen konnten die Sibylle-Leser*innen diese abgebildete Kleidung nicht, übrigens auch die limitierte beworbene neue Kleidung aus der DDR häufig nicht. Auch Kollektionen, die speziell für Sibylle entworfen und geschneidert wurden, gab es nicht zu kaufen, vielmehr sollten sie einen jeweiligen Trend illustrieren. Was der Mangel auf dem Markt aber nicht verhindern konnte, ist die Kreativität der Leser*innen. Sibylle gab dieser Kreativität Futter, denn in jedem Heft finden sich im Mittelteil Schnittmuster und Entwürfe, mit denen die vorgestellten Kollektionen nachgeschneidert werden konnten. Während ihres gesamten Erscheinungsverlaufs erschienen diese Schnittmuster und Gestaltungsvorschläge: so schaffte die Redaktion der Sibylle eine Vermittlung zwischen den eigenen Kollektionen und den tatsächlichen Konsummöglichkeiten der Leserinnen, nämlich den vorgestellten VEB Kollektionen. Auf dem DDR-Zeitschriftenmarkt gab es auch andere Handarbeits- und Schneiderzeitschriften, wie Pramo, Handarbeit und Modische Maschen
Auch Designwettbewerbe
Diese Vermittlung war nicht nur auf die Erwerbsarbeit der Leser*innen beschränkt, die Sibylle Redaktion, die zum großen Teil aus Modeschöpferinnen und -expertinnen bestand
Die Redaktion der Sibylle bestand jedoch nicht nur aus Modedesigner*innen, auch Kunstschaffende* und Journalist*innen waren beteiligt und verantwortlich. Vielfach berichteten die Redakteur*innen retrospektiv von ihren Aufgaben, die weit über Textproduktion hinaus gingen: Modeentwürfe und Schneiderarbeiten, Fotos, Betreuung und Make-up für die Models. Dorothea Melis sagte dazu: „Mode wird auch auf der Straße gemacht. Mode wird nicht von irgendwelchen großen Schöpfern gemacht. Dass das die Leute, die es gelernt haben, steuern und lenken, das ist was anderes. Aber eine Mode, die nicht angenommen wird, wird keine Mode.“
Zur Bedeutung der Fotograf*innen
Diese Ästhetik wurde vor allem durch die Fotografie geprägt, nachdem Mitte der 1960er neue Fotograf*innen für die Zeitschrift arbeiteten. Jeder beteiligte Fotograf*in schuf durch die eigene Arbeit in Sibylle ein eigenes Frauenbild. Bekannte Namen wie Sibylle Bergemann, Günther Rössler oder Arno Fischer fotografierten Mode und Models, trotzdem sie eigentlich keine Modefotograf*innen waren. Ulrich Ptak, Kurator der Kunsthalle Rostock, erinnert sich: „Man kam mit seinen Vorstellungen, suchte sich einen interessanten Hintergrund, und schoss die Fotos wie eine Reportage (Fischer), rückte sie in die Nähe einer Romanze (Meinke) oder inszenierte die Aufnahme sublim (Bergemann).“
In der Sibylle zu publizieren bedeutete, frei vom Verwertungsdruck zu arbeiten. Sie bot den Fotograf*innen also sichere Aufträge. Auch eine gewisse Freiheit in ihrer Inszenierung, in der Auswahl des Settings und der Umgebung war vorhanden. Redakteurin Lisa Schädlich berichtete: „Wir hatten größere Freiheiten als andere Zeitungen in der DDR, deren Auftrag es war, sich mit der Realität zu beschäftigen […]“
Frauen in Kleidern vor Beton
Trotz des Labels Modezeitschrift hatte Sibylle den Auftrag, ein sozialistisches Frauenbild zu vermitteln. Interessant hierbei ist nun die Frage der Bildwürdigkeit. So fanden sich vor allem bis zu den 1980ern viele Artikel über und Bilder von der Sibylle-Leser*in: der vorbildlichen Arbeiterin und Teil des Kollektivs, von Haushalt und Alltag. „Also das war immer wieder der Maßstab aller Dinge: die berufstätige Frau, die gebildete, die informierte, die den sozialistischen Staat aufbaut.“
Aelrun und Jutta statt Jerry und Cindy
„Sie sollten schön und gepflegt aussehen, sie sollten nicht exaltiert und künstlich, nicht aufgedonnert sein – und das ist auch vollkommen richtig. Und da muss ich mich mit keinem streiten. Und nur wenn es mal ausbrach, mal wurde ein Mädchen mit Zigarette fotografiert – da gab es Diskussionen, nicht weil Rauchen ungesund ist, sondern: also so was Mondänes, das wollen wir nicht haben.“
Entgegen der westlichen Modefotografie gab es in der DDR keinen Kult um die Models. Einige der abgebildeten Frauen wurden von den Redakteurinnen auf der Straße angesprochen und rekrutiert, kamen also aus ihrer Leser*innenschaft. Das tat ihrer Professionalität aber keinen Abbruch. Beliebte Sibylle-Models wie Aelrun Goette arbeiteten nach dem Umbruch 1989 auch für große westliche Labels wie Yves Saint Laurent
Besonders sichtbar war dies anhand der Berichte über „Jugendmodeclubs“ – in denen Jugendliche, ganz nach Sibylle-Ideal, gemeinsam eigenen Entwürfe für ihre Jugendweihe erstellten, nähten und diese dann auch selbst in der Sibylle vorstellten. Einige Seiten weiter konnte man dann von internationaler Mode lesen. Obschon auch der Materialmangel in der Planwirtschaft sicher ausschlaggebend für diese Form von Do-it-Yourself war: auch ohne staatliche Kollektionen und Konventionen konnte die Leser*in für sich selbst entscheiden, wie sie sich kleidet, musste nicht sozialistische Einheitskleidung von der Stange kaufen. Selbstentworfenes und Geschneidertes wird aufgenommen, ist bildwürdig, wirkt in die Leser*innenschaft und wird mit ihnen als Models präsentiert.
Mode ist ein Zeitbild
Mit „Schönheit im Osten“, lässt sich der Inhalt der Sibylle beschreiben. Porträts von DDR-Persönlichkeiten und Künstler*innen, Kultur, Mode, Ratgeberkolumnen
Zur Wirkung von Frauenzeitschriften in die DDR-Gesellschaft gibt es bisher nur wenig Forschung.
Verfasst von:
Ariane Lösch
studierte Soziologie, Lehramt und Bibliotheks- und Informationswissenschaft. Projektmitarbeiterin in der Feministischen Bibliothek MONAliesA in Leipzig und an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. Ihre Forschungsthemen sind die gesellschaftlichen Ursachen von Femiziden und Leseangebote und Chancengleichheit für Menschen mit kognitiven Behinderungen.
Im Februar 2021 erschienen im onlinejournal kultur & geschlecht: https://kulturundgeschlecht.blogs.ruhr-uni-bochum.de/?p=977