– Der 8. März und der internationale feministische Streik
Befeuert durch eine internationale feministische Streikbewegung gewinnt der 8. März in den letzten Jahren erneut an Bedeutung. Fast 100 feministische Streikbündnisse nutzen den internationalen Frauenkampftag in Deutschland, um ihre Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen.

„Viva nos queremos!“ – Wir wollen uns lebend!
2015 formierte sich in Argentinien eine Protestwelle, die bald nach Südamerika, in die USA und schließlich nach Europa und in den Rest der Welt schwappte. „Ni una menos – Nicht eine weniger!“ ist ihr Name und gleichzeitig auch ihre Forderung. Nicht noch eine soll ermordet, keiner soll mehr Gewalt angetan, keine soll mehr diskriminiert werden! Nachdem Daiana García und Chiara Páez im März und Mai 2015 auf brutalste Weise ermordet wurden, reichte es den Frauen und Queers in Argentinien – Massenproteste formierten sich, wie am 3. Juni in Buenos Aires, als über 20.000 Menschen demonstrierten. Femizide, also Frauenmorde, sind in Argentinien grauenvoller Alltag. Allein 2014 wurden dort 277 Frauen von ihrem (Ex-)Partner ermordet – das bedeutet: ein Femizid alle 30 Stunden.[1] Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und Queers gibt es in jedem Land der Welt – auch in Deutschland. Sie wird von den Feminist*innen der NiUnaMenos-Bewegung nicht als individuelles Problem verharmlost. Begriffe, die viele Medien in ihrer Berichterstattung verwenden, wie „Beziehungstat“ oder „Eifersuchtsdrama“ lehnen sie ab. Ihr global ausgerichteter Widerstand will die strukturelle mit Patriarchat und Ökonomie verwobene Ebene von Femiziden herausarbeiten, benennen und bekämpfen. Sie fordern: „Viva nos queremos!“ – Wir wollen uns lebend! [2]

Die Forderungen von NiUnaMenos verbreiteten sich rasend schnell. Die Bewegung wurde immer größer und breiter, inter- und transnational. In ihrem Aufbegehren schloss sie bald auch weitere Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt und Unterdrückung ein, wie Homo- und Transfeindlichkeit oder Abtreibungs- und Prostitutionsgesetzgebungen.[3]
2016 rief NiUnaMenos zum ersten feministischen Massenstreik in Argentinien auf. Mit diesem Aufruf zum Streik formierte die Bewegung eine „neue Qualität der Frauenkämpfe“[4], so die Rechtsanwältin und Publizistin Brigitte Kiechle. Denn sie hat die Formation der neuen feministischen Bewegung zur Massenbewegung und als gewichtige politische Akteurin maßgeblich geprägt.[5] Die Protestform des feministischen Streiks strebt dabei eine Radikalität an, die über ein klassisch gewerkschaftliches Verständnis von Streik sowie den Feminismus des bürgerlichen, institutionellen Establishments hinaus geht. Die Aktivist*innen der NiUnaMenos-Bewegung möchten das der Unterdrückung zugrundeliegende System, seine Struktur und Wurzeln angreifen. Ihr erklärtes Ziel ist seine revolutionäre Veränderung.[6]
Die Protestform des feministischen Streiks geht viral und wird transnational – ein Jahr nach dem ersten argentinischen Massenstreik kommt es in über 50 Ländern zu feministischen Streiks, zum Beispiel beim Women‘s March in den USA und dem Strajk Kobiet in Polen.[7] Dabei treten auch gemeinsame zeitliche Punkte hervor, wie zum Beispiel zum internationalen Frauenkampftag, dem 8. März.[8]
Die Entstehung des internationalen Frauentags
Die Geschichte des 8. März begann in 1910 in Deutschland, als die Sozialistinnen Clara Zetkin, Käte Duncker und ihre Genossinnen auf der II. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz die Durchführung eines Frauentags zur Abstimmung brachten. Die anwesenden 98 Frauen aus 17 Ländern sprachen sich einstimmig für den Antrag aus und so fand im nächsten Jahr, am 19. März 1911, der erste internationale Frauentag in Deutschland statt.[9]
Das Hauptanliegen der ersten Frauentage lag in der Durchsetzung des Frauenwahlrechts. Nachdem dieses in Deutschland durch die Revolution 1918 zusammen mit einer zumindest verfassungsmäßigen Gleichstellung der Geschlechter erkämpft wurde, verlor der Tag für die bürgerlichen und sozialdemokratischen Frauen an Bedeutung. Die radikale KPD jedoch hielt am kämpferischen Frauentag fest. Sie erklärte 1921 den 8. März, das Datum, das wir auch heute feiern, zum Internationalen Frauentag. Dieser Tag war bewusst gewählt, denn am 8. März 1917 streikten Textilarbeiterinnen in Petrograd. Das Datum des internationalen Frauentags greift damit bereits die Protestform des Streiks auf.[10]
Es dauerte jedoch bis 1994, bis am 8. März tatsächlich ein „FrauenStreikTag“[11] in Deutschland organisiert wurde. Über 100 Fraueninitiativen unterzeichneten den Aufruf „Frauen sagen Nein“[12], der sich „gegen die Benachteiligung der Frauen in Gesellschaft, Beruf und Familie“[13] richtete. In vielen Städten in der ganzen Bundesrepublik wurden Aktionen wie Arbeitsniederlegungen, Straßenumbenennungen oder Menschenketten umgesetzt.[14]
Doch in den Folgejahren gelang es den Aktivist*innen nicht, an diesen Erfolg anzuknüpfen. Ein weiterer bundesweiter Streikaufruf zum 8. März fand zunächst nicht statt.[15]

„Von Polen bis Argentinien, von New York bis Hongkong, von Spanien über Nigeria bis Australien. Es reicht!“ – der internationale feministische Streik
Es war die NiUnaMenos-Bewegung, die den Frauenstreik in den 2010er Jahren erneut mit dem 8. März verband und am internationalen Frauentag streikte.[16] Seit sich die Feminist*innen in Deutschland in diese internationale Protestwelle einreihten, finden am 8.März wieder feministische Streiks am internationalen Frauentag statt! Und so wurde in Deutschland am 8. März 2019 erstmals wieder gestreikt! In Leipzig nahmen beispielsweise über 1.000 Teilnehmende an den Protestaktionen teil.[17] In Berlin sogar über 20.000![18]
Der internationale Frauentag in Deutschland steht damit heute überwiegend im Zeichen dieser neuen internationalen feministischen Bewegung.
„Über die Welt breitet sich eine Bewegung von streikenden Frauen und Queers* aus, von Polen bis Argentinien, von New York bis Hongkong, von Spanien über Nigeria bis Australien. Auch wir sehen Grund zum Streik und sagen: Es reicht! Lasst uns am 8. März zusammen streiken!“[19] – Feministischer Streik Leipzig 2021
Genau wie bei den internationalen Protesten problematisieren die Aktivist*innen am 8. März diverse feministische Themen wie das Recht auf Kitaplätze, Asyl, Abtreibung oder bezahlbaren Wohnraum.[20] Internationale und intersektionale Bezugspunkte, die stark vom Schwarzen Feminismus, den Feminismen Lateinamerikas und des Globalen Südens geprägt sind, werden dabei in die feministischen Streiks integriert.[21] Die Streikaufrufe werden ganz in diesem Sinne oft in mehreren Sprachen veröffentlicht. „Frauen, Lesben, Trans und intersexuelle Personen, Migrant:innen, Indigene, Schwarze und Afro-Deutsche“[22] werden aufgefordert, sich im Streikkomitee der „Frauen*Streik“-, „Feministischen Streik“- oder „F*Streik“-Gruppen einzubringen.[23] Sie problematisieren:
„Immernoch werden wir tagtäglich mit verletzenden Witzen, Kommentaren, Übergriffen und körperlicher Gewalt klein gemacht. Unsere Arbeit wird geringeschätzt und wir verdienen im Schnitt 22% weniger als Männer. Zuhause übernehmen wir einen großen Teil der unbezahlten Haus- und Pflegearbeit. Es wird von uns erwartet, dass wir diese Arbeit klaglos, unbeachtet und wie selbstverständlich mit einem Lächeln erledigen. Das lassen wir uns nicht länger gefallen!“[24] – Aufruf „5 vor 12 Uhr“ #ichstreike8M 2019
Die Streikaufrufe zum 8. März appellieren an Frauen und Queers, bezahlte wie unbezahlte Arbeit niederzulegen. So sollen die von ihnen täglich verrichteten Tätigkeiten sichtbar gemacht werden.[25] Denn Haus-, Pflege und Care-Arbeiten werden noch immer überwiegend von ihnen gestemmt.[26] Damit die Menschen, die Pflege und Sorge brauchen, wie Alte, Kranke und Kinder, nicht die Leidtragenden der Streiks werden, sind alternative Streikaktionen gefordert. Schmutzige Wäsche vor das Rathaus oder Windeln vor das Innenministerium schmeißen; Geschirrtücher, Schürzen oder Laken aus den Fenstern hängen; symbolische Lohnzettel schreiben oder gemeinsam bei einem „Global Scream“ schreien – die Liste der diversen Protestaktionen ist lang.[27]

Die Streiks zum 8. März reihen sich ein in die lange Tradition der Frauenstreiks. Ob beim Streik der Textilarbeiterinnen in Petrograd 1917, beim Frauenstreik in Island 1975 oder beim FrauenStreikTag in Deutschland 1994 – die Geschichte der feministischen Protestaktion ist vielseitig und noch lange nicht abgeschlossen.[28]
„Frauen und Queers* auf der ganzen Welt rufen: Wir streiken! Schließ Dich an!“[29] – Aufruf zum Streik vom 1. Bundesweiten Streiktreffen 2018
Tordis Trull
[1]Vgl. Backes, Laura / Bettoni, Margherita: Alle drei Tage. Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen, München 2021, S.168.
[2]Vgl. Lorey, Isabell: 8M – Der große feministische Streik. Vorwort, in: Gago, Verónica et al. (Hg.): 8M. Der große feministische Streik. Konstellationen des 8. März, Wien 2018, S.9-24, hier S.9ff.
[3]Vgl. Ebd., S.9.
[4]Vgl. Kiechle, Brigitte: Frauen*Streik. “Die Welt steht still, wenn wir die Arbeit niederlegen!”, Stuttgart 2019, S.12.
[5]Vgl. Ebd.
[6]Vgl. Draper, Susana: Streik als Prozess, in: Gago, Verónica et al. (Hg.): 8M. Der große feministische Streik. Konstellationen des 8. März, Wien 2018, S.43-92, hier S.754f.
[7]Vgl. Kiechle: Frauen*Streik, S.8.
[8]Vgl. Lorey: Der große feministische Streik, S. 21f.
[9]Vgl. Bauer, Kattrin: Der 8. März – Zur Geschichte des Internationalen Frauentags in Deutschland, in: Beiträge. Zur feministischen Theorie und Praxis, 17. Jg., 1994, H. 36, FrauenStreik. Streitfragen, S.9-16, hier S.9f.
[10]Vgl. Ebd., S.11f.
[11]Scholze: Der Internationale Frauentag einst und heute, S.167.
[12]Ebd.
[13]Ebd., S.168.
[14]Vgl. Ebd., S.167ff.
[15]Vgl. Kiechle: Frauen*Streik, S.62.
[16]Vgl. Ebd., S.66.
[17]Vgl. Stork, Katharina, 08.03.2019: Aufschrei aus 1000 Kehlen. Streik am Frauentag in Leipzig, Zugriff am 04.11.2021 unter: https://www.lvz.de/Leipzig/Lokales/Aufschrei-aus-1000-Kehlen-Streik-am-Frauentag.
[18]Vgl. Interventionistische Linke Berlin, 08.03.2019: Facebook-Post , Zugriff am 04.11.2021 unter: https://www.facebook.com/berlin.il/posts/2522019447871189/.
[19]Feministischer Streik Leipzig: Aufruf zum Streik, Zugriff am 04.11.2021 unter: https://feministischerstreikleipzig.wordpress.com/forderungen/.
[20]Vgl. Frauenstreik: Forderungen F*Streik Deutschland, Zugriff am 04.11.2021 unter: https://frauenstreik.org/aufrufe/2019-2/.
[21]Vgl. Draper: Streik als Prozess, S.83.
[22]Frauenstreik: Transnationale Feminist:innen gegen patriarchale Gewalt 2021, Zugriff am 04.11.2021 unter: https://frauenstreik.org/aufrufe/2021-2.
[23]Vgl. Frauenstreik: Ortsgruppen, Zugriff am 04.11.2021 unter: https://frauenstreik.org/ortsgruppen/.
[24]Frauenstreik: 5 vor 12 Uhr #ichstreike8M, Zugriff am 04.11.2021 unter: https://frauenstreik.org/aufrufe/2019-2/.
[25]Vgl. Frauen*Streik Jena: „Wenn wir streiken, steht die Welt still“, Zugriff am 04.11.2021 unter https://femstreikenjena.noblogs.org/files/2020/03/2020-03-02_Flyer-aktualisiert.pdf.
[26]Vgl. Ebd., S.3ff.
[27]Vgl Frauenstreik: Global Scream, Zugriff am 04.11.2021 unter: https://frauenstreik.org/aufrufe/2020-2/;
Frauenstreik: Unbezahlte Arbeit bestreiken?!, Zugriff am 04.11.2021 unter: https://frauenstreik.org/wie-streiken/unbezahlte-arbeit-bestreiken/.
[28]Vgl.Frauenstreik: Wir sind nicht die ersten – Blicke zurück, Zugriff am 04.11.2021 unter https://frauenstreik.org/wir-sind-nicht-die-ersten-blicke-zurueck/.
[29]Frauenstreik: Aufruf 2018, Zugriff am 04.11.2021 unter: https://frauenstreik.org/aufrufe/2018-2/.