Liebe_r Zettelschreiber_in,
leider haben wir auf Grund fehlender Kontaktdaten nicht die Möglichkeit persönlich auf Ihren Zettel zu antworten, daher dieser Blogeintrag in der Hoffnung, dass Sie ihn eventuell lesen werden.
Sie haben uns am 5. März, am Abend der Femen-Veranstaltung, einen Zettel hinterlassen, den wir leider erst jetzt entdeckt haben. Darin kritisieren Sie zwei Bezeichnungen unserer Bibliothekssystematik und die darin eingeordnete Literatur.
Zur Bestandssystematik:
Sie kritisieren die Begriffe “Behinderte” und “Indianerinnen”. Sie haben völlig Recht. Auch ich persönlich verwende die Umschreibung “Menschen mit Behinderung” und spreche lieber von “Native Women”, “Indigene Frauen” oder “Frauen der First Nations”. Nicht unerwähnt soll aber bleiben, dass es natürlich auch Natives gibt, die sich (in ironischer Aneignung) selbst als “Indians” bezeichnen – um “den Weißen” vor Augen zu führen, was für Nieten sie doch in Geografie seien.
Sie kritisieren ferner, wenn auch etwas unkonkret, die angebotene Literatur unter dem Schlagwort “Indianerinnen”. Unter diesem (nochmal: unglücklichen) Begriff sind Bücher einsortiert, die sich aus unterschiedlicher Perspektive und mit verschiedenen stilistischen Mitteln mit den Native Women beschäftigen. Ich bestreite nicht, dass sich auch Bücher darunter befinden, die ein verkitschtes und romantisierendes Bild der Native Americans zeichnen. Dazu ist zunächst grundsätzlich zu sagen, dass der Medienbestand von MONAliesA nicht erst vor zwei Wochen aufgebaut wurde, sondern seit 1990 (!) kontinuierlich wächst. Inhalt und Struktur unserer Bibliothek haben bereits eine eigene Geschichte und weisen die “Handschriften” der zahlreichen Mitarbeiterinnen und Helferinnen der vergangenen 23 Jahre auf. Eine vorsichtige Schätzung geht mittlerweile von mehr als 20.000 Medieneinheiten aus. Die kontinuierliche Pflege eines solch großen Bestandes ist für einen Verein wie uns eine sehr aufwändige Angelegenheit. Sie können sich aber sicher sein, dass die Frage der Bestandsrevision bei MONAliesA seither mehrfach, auch kontrovers, diskutiert wurde. Schon aus Platzgründen sortieren wir ab und an auch Bände aus und vertreten dennoch die Meinung, dass es nicht Aufgabe einer Bibliothek ist, seine Leser_innen mittels Giftschranksystem zu bevormunden. Im Zweifelsfall setzen wir lieber auf persönliche Beratung und den Hinweis auf weitere Literatur. Dazu ist es freilich unabdingbar, dass wir auch offen angesprochen werden – Uns also (anonym) ein mangelndes Bewusstsein vorzuwerfen, verkennt die Hintergründe und Rahmenbedingungen einer Bibliothek wie MONAliesA vollkommen. Hätten Sie sich, liebe_r Kritiker_in, zudem einmal die Zeit genommen, den kritisierten Bestand genauer durchzusehen, dann wäre Ihnen unschwer aufgefallen, dass die große Mehrheit der angebotenen Literatur von Native Women selbst verfasst wurde. Zu nennen wären hier: Winona LaDuke, Wilma Mankiller, Beverly Hungry Wolf oder Leslie Marmon Silko. Wer diese Bücher liest, dem wird schnell klar, dass hier keine (post)kolonialen Fanasien bestätigt werden, sondern tiefe Einblicke in die Geschichte, Gegenwart und Kultur der Native Americans geboten werden.
MONAliesA hat im Blog schon mehrfach auf Themen wie “Native Women” oder “Indigenous Feminisms” hingewiesen, auch Literaturtipps gegeben. Wir haben auch den kopflosen Umgang mit Symbolen und Bekleidungen der amerikanischen Ureinwohner kritisiert und dazu passende Bücher empfohlen. In unserem Veranstaltungsprogramm berücksichtigen wir quasi permanent auch Themen, die sich kritisch mit diesen und ähnlichen Zusammenhängen beschäftigen: Ich gehe nicht davon aus, dass Sie, liebe_r Kritiker_in, schon mal einen solchen Vortrag bei uns besucht haben, denn diese Themen gehören häufig leider nicht zu den besucherstärksten. Und darum noch mal: Uns mangelnde Sensibilität oder fehlendes Wissen über (post-)koloniale Zusammenhänge vorzuwerfen, ist nicht fair.
Warum ändern wir aber nicht einfach solch problematische Schlagworte wie “Indianerinnen” oder “Behinderte”? An Willen fehlt es uns sicher nicht, schon eher an Kapazitäten: Die Frauen-/Genderbibliothek wird zur Zeit komplett ehrenamtlich betreut. Dies schließt die Einarbeitung neuer Medien, Betreuung der Ausleihe und die Bestandpflege mit ein. Jeder Eingriff in die Tektonik eines historisch gewachsenen Bestandes wie den unsrigen ist ein äußerst arbeitsaufwändiges Unterfangen: Es müssen nicht nur zahllose Karteikarten geändert, sondern auch Eintragungen im Online-Bestandskatalog sowie Änderungen in der Gesamtsystematik vorgenommen werden. Dazu fehlen uns im Moment schlicht die personellen Ressourcen.
Zum Schluss schreiben Sie, dass Sie sich in der Bibliothek “sehr unwohl” fühlten. Ich bedaure das sehr, zumal Ihnen so leicht hätte geholfen werden können: Wir freuen uns jederzeit über Kritik und Meinungsbekundungen an unserer Arbeit, sofern die Betroffenen sich wenigstens bemühen auch das direkte Gespräch mit uns zu suchen. Es ist äußerst schwer auf anonyme Kritik zu reagieren und es zeugt auch nicht von Fairness. Ich finde diesen Umstand mehr als schade und wünsche mir für die Zukunft, dass Besucher_innen und Nutzer_innen auf uns zu kommen, uns ihr Anliegen oder Problem direkt schildern bzw. uns einfach fragen. Nur so können Missverständnisse künftig vermieden werden. “Also, traut Euch!”