Seit der Jahrtausendwende eröffnen Ladyfeste queer-feministische Räume zum Feiern und Diskutieren. Dabei versuchen sie Geschlechternormierungen und Zweigeschlechtlichkeit anzugreifen.
„Ein LaDIY*fest kommt selten allein“
Die Organisator*innen der Ladyfeste haben ein erklärtes Ziel: Einer „macker- und/oder männerdominiert[en]“ Musikszene, in der vor allem Cis-Männer Partys planen, in Bands spielen oder auflegen, den Kampf ansagen![1] „Lasst uns die „klassisch“ männlich dominierten Räume smashen!“[2], fordern sie.
Von autonomen Frauen-, Lesben-, Inter-, Nonbinary-, Trans- und Agender-Gruppen (kurz: FLINTA*-Gruppen) organisiert, möchten die Festivals „andere Geschlechtsidentitäten“ empowern und sichtbar machen.[3] Auf Ladyfesten sollen „Ladiez*“ im Mittelpunkt stehen, „auf der Bühne, am Plattenteller und natürlich auch beim gesamten Drumherum, also in Sachen Organisation, Booking, Technik, Finanzen und Werbung und was eben sonst noch dazu gehört“.[4] So sollen „Gegenerfahrungen und –bewegungen“[5] geschaffen werden, die Cis-Männlichkeit in der Musik- und der Kulturszene auflösen.[6]
Ob in Deutschland, Indonesien, Mexiko oder der Türkei: Seit das erste Ladyfest 2000 in Olympia, Washington das Licht der Welt erblickte, werden die Festivals in queer-feministische Subkulturen auf der ganzen Welt gefeiert. [7] „Liebe Menschen […] merkt euch: ‚Ein LaDIY*fest kommt selten allein.‘ YEAH!“[8] schreiben die Organisator*innen vom LaDiY*fest Freiburg auf ihrer Homepage. Damit machen sie auf die Verbundenheit der Ladyfeste aufmerksam, die zwar dezentral organisiert werden, aber trotzdem in einem weltweiten, internationalen Netzwerk verkettet sind. Ihr gemeinsamer Bezug auf den Namen „Ladyfest“ und ein Bekenntnis zum Queer-Feminismus bilden den Kitt. [9]

Queer-/feministische „Freiräume“
Ladyfeste möchten „Freiräume“ schaffen.[10] „Frei von kapitalistischen Zwängen, ohne Hierarchien und Diskriminierungen jeglicher Art“ sollen die Teilnehmenden im Rahmen von queer-/feministischen Konzerten, Filmen, Workshops und Vorträgen ermutigt werden, voneinander zu lernen, sich zu inspirieren und zu vernetzen.[11]
Prägend für die Ladyfeste ist neben dem queer-/feministischen Anspruch ihre unkommerzielle D.I.Y.-Kultur[12].[13] FLINTA*s sind zum Mitmachen und Selbstgestalten des Programms eingeladen. „[W]enn wir was nicht können, suchen wir uns eine, die es kann und es uns beibringt. So entwickeln wir uns weiter und helfen uns dabei gegenseitig“[14], erklärt das Ladyfest Darmstadt.
Jedes Ladyfest ist trotz der internationalen Bewegung autonom organisiert und damit einzigartig. Sein Programm bildet die Interessen und Standpunkte seines Kollektivs und der jeweiligen Szene an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit ab. Auf den verschiedenen Festivals finden sich unterschiedliche queer-feministische Themen und Positionen wieder, wie die Bandbreite an Workshops von Schreien im öffentlichen Raum, BDSM, LKW-Schrauben bis hin zu DIY-Homoöpathie zeigt.[15]
“All girls to the front! I’m not kidding!” – Die Riot Grrrls
Die Einsicht, dass sich Sexismus und Androzentrismus auch durch die eigene Subkultur und Szene ziehen, entwickelte sich jedoch nicht erst während der Ladyfeste-Ära. Schon die in den frühen 1990er Jahren entstandene Riot-Grrrl-Bewegung forderte Mädchen und Frauen auf, sich in der Punk- und Hardcoreszene Gehör zu verschaffen. Kathleen Hanna, eine der bekanntesten und berühmtesten Riot Grrrls und Sängerin der Band Bikini Kill brachte die Forderungen der Bewegung mit ihrem Ausruf „All girls to the front! I‘m not kidding!“[16] auf den Punkt: Alle Mädchen nach vorne! Das galt nicht nur für ihren Platz im Konzertsaal und auf der Bühne, sondern in der gesamten Gesellschaft. Bands wie Bratmobile, Sleater Kinney und Parole Trixi waren aggressiv, mutig und provokant. Sie besprachen in ihren Songs und Auftritten feministische Themen wie rape culture und normierende Schönheitsideale.[17]
Der Begriff Riot Grrrl geht unter anderem auf ein 1991 entstandenes Fanzine zurück.[18] Zines sind in D.I.Y.-manier selbstgestaltete, meist foto-kopierte Magazine, die den Riot Grrrls eine Plattform boten, ihre Ansichten, Gefühle und Wünsche auszudrücken.[19]

„laut, lustig, ungezogen“ – LaD.I.Y.fest und Ladyzzz
Der bürgerliche Mainstream wurde Mitte der 90er Jahre auf die Riot Grrrls aufmerksam. Er adaptierte und transformierte die Bewegung mit Pop-Bands wie den Spice Girls. Solche Girlgroups verkörperten eine cleane, von politischer Radikalität gereinigte Version von Riot Grrrl. Sie gaben sich zwar wild, selbstbewusst und vorlaut, waren aber in ersten Linie eins: kommerziell. Von der Wut, der Provokation und dem Punk der Riot Grrrls blieb nicht mehr als ein glattgebügeltes „Girl Power!“ übrig.[20] Viele Feminist*innen wandten sich daraufhin von der Bewegung ab und gingen neue Wege, um sich auszudrücken und auszutauschen. Einige von ihnen taten dies seit den 2000er Jahren als Veranstalter*innen und Teilnehmer*innen der Ladyfeste.[21]
Die Ladyfeste nahmen Themen und Ideen der Riot-Grrrl-Bewegung auf. Genau wie die Riot Grrrls zuvor den unschuldig-infantilen Begriff „Girl“ in ein wütendes Knurren verwandelt hatten, versuchen Ladyfeste den Begriff „Lady“ neu zu besetzen. Die „Ladyz“ der Ladyfeste können als Antithese oder Persiflage einer „echten Lady“, also einer vornehmen Frau, die geschlechtsstereotyp auftritt und relativ hohes gesellschaftliches Ansehen besitzt, verstanden werden.[22]
Die Gesellschaft sagt uns von Klein[sic] auf, dass wir zurückhaltend und brav sein sollen, um richtige „Ladies“ zu werden. Wir wollen uns die Kategorie zurückerobern, laut, lustig, ungezogen – lad(i)ys* halt.[23]
Die hier avisierte Bedeutungsverschiebung zielt darauf ab, das, was als „normal“ oder „natürlich“ gilt, in Frage zu stellen. Doch anders als das „Grrrl“ der Riot Grrls hat die „Lady“ nun nicht mehr zwangsläufig eine cis-weibliche Geschlechtsidentität. Schon auf dem ersten Ladyfest in Olympia wurde klargestellt:
„What does ‘lady’ mean? Are transgendered ladies welcome?
Yes! Events listed as “ladies only” are open to all women, including women who identify as men, and ladies who were born gentlemen. This also applies to performing at ladyfest. Transgendered women are welcome to lead workshops, play music, show art, do performance art, etc.“[24]
Im Unterschied zur Riot Grrrl Bewegung, die sich an Frauen und Mädchen richtete, denken und adressieren Ladyfeste auch andere geschlechtliche und sexuelle Identitäten. Sie verschieben und differenzieren so die Auseinandersetzung mit Geschlechterkategorien, klassischen Geschlechtszuschreibungen und Zweigeschlechtlichkeit.
Sichtbar wird dies auch in der Umbenennung der meisten Ladyfeste seit den 2010er Jahren. Die Umdeutung des Begriffs „Lady“ schien für viele Queerfeminist*innen nicht (ausreichend) gelungen zu sein. Um den Bruch mit der ursprünglichen Wortbedeutung zu verstärken, benannten sie die Festivals beispielsweise in „LaD.I.Y.*fest“ um. „Mit der Erweiterung des Ladyfests zu LaDIYfest wollen wir das binäre, normative Geschlechtersystem aufbrechen, welches nach wie vor einige von uns mit dem Begriff „Lady“ verbinden.“[25] erklärt das LaD.I.Y.fest Leipzig 2017, das vorher Ladyfest hieß. Der neue Name visualisiert außerdem den bereits angesprochenen D.I.Y.-Gedanken, der die Ladyfeste prägt.

Das Ende der Ladyfeste?
In der Transformation des Namens „Ladyfest“ zu „LaDIYfest“ lassen sich zentrale queerfeministische Gedanken um Symbolisierung, Repräsentation und Anerkennung von verschiedenen Sexualitäten und Identitäten wiedererkennen. Wer ist mit „Lady“ gemeint? Für wen steht der Raum Ladyfest also eigentlich offen? Diese Fragen wurden auf den Ladyfesten immer wieder diskutiert.[26] Doch queerfeministische Akteur*innen scheinen mit den Antworten darauf unzufrieden zu sein, denn in den letzten Jahren wurden immer weniger Ladyfeste organisiert. Stattdessen entstehen neue Festivals mit Namen wie „Queerfest“, *fest“ oder „_fest“, die an Aufbau und Struktur der Ladyfeste anknüpfen. Alexandra Ommert erkennt hier eine Umdeutung und Weiterentwicklung des Ladyfest-Aktivismus, die durch eine Kritik an Identitäts- und Geschlechterkategorien getragen ist. [27] Die Namensumwandlung kann damit ebenso wie die Abwendung der Queerfeminist*innen von der Aktionsform Ladyfest als Ausdruck der „Kämpfe um das Referenzsubjekt des queer-feministischen Aktivismus“[28] gelesen werden. Die Geschichte der Ladyfeste in Deutschland ist eng verwoben mit der queer-/feministischen Bewegung.
Tordis Trull
[1][Feministische Bibliothek MONAliesA Leipzig (im Folgenden: ML)], [GL QFA LF 01 2012 Fr 01] „[Ladyfest Freiburg 2012: Programmheft]“, 2012, S. 1.
[2][ML], [GL QFA LF 01 2012 Le 01 01] „[Ladyfest Leipzig 2012: Selbstverständnis]“, 2012, S. 4.
[3]Ebd.
[4]Ladyfest Darmstadt: Ladyfest in Darmstadt, Zugriff am 04.11.2021 unter http://www.ladyfest-darmstadt.de/about/ladyfest-in-darmstadt/index.html.
[5][ML], [GL QFA LF 01 2012 Le 01 01] „[Ladyfest Leipzig 2012: Selbstverständnis]“, 2012, S. 4
[6]ML_GL_QFA_In_2021_LF_05, Interview mit Janna vom Ladyfest Leipzig, Transkript, S.2.
[7]Vgl. Ommert, Alek: „Feminists we’re calling you. Please report tot he front desk…“. Ladyfeste als queer-feministische Praxis, in: Feministische Studien. Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, 26. Jg., 2008, H.2, S.230-238, hier S.232.
[8]LaDiYfest Freiburg, 03.07.2019: „Ein LaDIY*fest kommt selten allein“, Zugriff am 04.11.2021 unter http://ladiyfestfreiburg.blogsport.eu/.
[9]Vgl. Zobl, Elke: Zehn Jahre Ladyfest, in: participate. Kultur aktiv gestalten, 1. Jg., 2021, H. 10, S.1-16, hier S.3ff.
[10][ML], [GL QFA LF 01 2012 Le 01 01] „[Ladyfest Leipzig 2012: Selbstverständnis]“, 2012, S. 4.
[11]Ebd.
[12]D.I.Y. steht für “do it yourself” (dt. “Mach es selbst”).
[13][ML], [GL QFA LF 01 2012 Le 01 01] „[Ladyfest Leipzig 2012: Selbstverständnis]“, 2012, S. 4.
[14]Ladyfest Darmstadt: Ladyfest in Darmstadt, Zugriff am 04.11.2021 unter http://www.ladyfest-darmstadt.de/about/ladyfest-in-darmstadt/index.html.
[15][ML], [GL QFA LF 01 2012 Fr 01] „[Ladyfest Freiburg 2012: Programmheft]“, 2012, S.7.;
[ML], [GL QFA LF 02 2017 Le 01] „[Lad.i.y.fest Leipzig 2017, Programm]“, 2017, S.12f.;
[ML], [GL QFA LF 01 2011 Be 01] „[Lad.i.y.fest Berlin 2011, Programm]“, 2011, S.14f.
[16]Hannah, Kathleen, in: Anderson, Sini, 2013: The Punk Singer, 0:42min, Zugriff am 04.11.2021 unter https://www.youtube.com/watch?v=LU1bEeKsHs8&feature=emb_title.
[17]Vgl. Hölzl, Ute: Some Grrrls are Ladies, in: An.Schläge. Das feministische Magazin, 24. Jg., 2010, H.7-8, S.17-18, hier S. 17.
[18]Vgl. Baldauf, Anette: Riot Grrrl ist. Das Riot-Grrrl-Manifest, in: Peglow, Katja / Engelmann, Jonas (Hg.): Riot Grrrl Revisited. Geschichte und Gegenwart einer feministischen Bewegung, Mainz 2011, S.14-15, hier S.14.
[19]Vgl. Downes, Julia: There’s a riot going on… Geschichte und Vermächtnis von Riot Grrrl, in: Peglow, Katja / Engelmann, Jonas (Hg.): Riot Grrrl Revisited. Geschichte und Gegenwart einer feministischen Bewegung, Mainz 2011, S.18-50, hier S.22f.
[20]Vgl. Ebd., S.46.
[21]Vgl. Zobl: Zehn Jahre Ladyfest, S.3.
[22]Vgl. Groß, Melanie: Das Internet als Plattform politischer Interventionen. Ladyfeste im Netz, in: kommunikation @ gesellschaft, 7. Jg., 2006, S.1-16, hier S.6.
[23]LaDiYfest Freiburg: Selbstverständnis // Was ist ein Lad(i)y*fest, Zugriff am 04.11.2021 unter http://ladiyfestfreiburg.blogsport.eu/selbstverstaendnis/.
[24]Ladyfest: FAQ + About Olympia, Zugriff am 04.11.2021 unter http://ladyfest.org/FAQ/
[25]Ladiyfest Leipzig: Das Selbstverständnis der Crew des Ladiyfest Leipzig 2017, Zugriff am 04.11.2021 unter http://ladiyfestleipzig.blogsport.de/texte/.
[26]Vgl. Groß, Melanie: Guerilla-Strategie: Lady, in: An.Schläge. Das feministische Magazin, 24. Jg., 2010, H.7-8, S.20-24, hier S.21f.
[27]Vgl. Ommert, Alexandra: Ladyfest-Aktivismus. Queer-feministische Kämpfe um Freiräume und Kategorien, Bielefeld 2016S.219f
[28]Vgl. Ebd., S.220