Am ersten Juniwochenende haben wir massive Polizeigewalt auf Leipzigs Straßen erfahren und beobachtet. Wir als Bürger*innen dieser Stadt und Akteur*innen einer Einrichtung, die feministische und antifaschistische Positionen vertritt und verteidigt, werden dazu nicht schweigen.
Zur Urteilsverkündung im Antifa-Ost Prozess in Dresden wurden in Leipzig Demonstrationen angemeldet. Diese sollten dem Missstand Ausdruck verleihen, dass linke, für Freiheit und Emanzipation einstehende Menschen kriminalisiert werden. Das geschieht, während besonders in Sachsen und Thüringen rechte, faschistische Strukturen weitgehend ungeahndet agieren können. Wir wollen diese Missstände nicht unkommentiert hinnehmen.
Die angemeldeten Demonstrationen wurden an beiden Tagen verboten.
Dieses Vorgehen hat weder mit Deeskalation noch mit dem Schutz des Rechtes auf freie Meinungsäußerung etwas zu tun. Die Entscheidungen für das Demonstrationsverbot, die Sie befürwortet haben, kritisieren wir aufs Schärfste. Die Mittel, derer wir uns bedienen – schreiben, sprechen, diskutieren – bleiben oft genug ungehört und werden durch das Verbot
von Demonstrationen weiter beschnitten.
Was wir an diesem Wochenende auf Leipzigs Straßen gesehen haben, war vor allem eines: Polizeiwillkür und -gewalt. Mehrere Tage lang wurde vor allem der Süden Leipzigs mit massivem Polizeiaufgebot bedrängt, waren Polizist*innen sehr bemüht, Anwohner*innen unverhältnismäßig oft und hart zu kontrollieren und zu maßregeln. Ein Aufhalten und Bewegen in 04275 – 04277 hat ausgereicht, um verdächtig zu sein und entsprechend behandelt zu werden.
Was wir gesehen haben, war Polizeigewalt. Dass die Abgeordnete Juliane Nagel bei einer Jugenddemonstration am 1. Juni im Schmerzgriff abgeführt wurde, ist nur ein Detailmoment dieses Wochenendes – zeigt aber, wie immer mehr Grenzen polizeilicher Willkür zum Opfer fallen. Es wurden Menschen von der Polizei brutal zusammengekesselt, Menschen, die keine
Straftaten begangen, sondern im Gegenteil Mut und Solidarität mit jenen gezeigt haben, die seit Jahrzehnten versuchen, den faschistischen, gewaltbereiten Strukturen etwas entgegenzusetzen – und zwar vor allem durch Bildungsarbeit, Solidarität, Aufklärung, Beratung. Sie wurden über zwölf Stunden in einem Polizeikessel festgehalten, es gab kaum
Wasserversorgung, Lebensmittel konnten nur über solidarische Menschen von außen über die Sanitäter*innen hineingelangen, genauso wie Decken und Kleidung. Toiletten gab es nicht. Inzwischen häufen sich die Berichte Betroffener über erniedrigende Durchsuchungen von Polizeibeamten. Herr Jung, Sie haben zu verantworten, dass dort teils Minderjährige stundenlang festsaßen und ihre Eltern keine Möglichkeit hatten, zu ihnen zu gelangen.
Wir hörten sexistische Kommentare der Polizei, wir sahen, wie das Fahrrad einer Rentnerin in die Büsche getreten wurde, wie der Bitte eines Menschen, nach Hause gehen zu dürfen, mit einem Faustschlag begegnet wurde. Es wurden Menschen brutal gestoßen, geknüppelt, beleidigt.Es geschah massive Gewalt an Menschen an diesen zwei Tagen – Gewalt durch die Polizei, Gewalt, die Sie zu verantworten haben.
Als Feministinnen kennen wir uns aus mit Gewalt, denn sie begegnet uns alltäglich. Wenn Ihnen der Einsatz gegen Gewalt so sehr am Herzen liegt, fragen wir uns: Wo ist Ihr Einsatz gegen Gewalt gegen Frauen, Lesben, Queers und Transpersonen? Jeden Tag geschehen gewaltsame
Handlungen, das reicht von verbalen Anfeindungen über Schläge bis hin zu Mord – jeden Tag und in dieser Stadt.
Wir wollen uns auf den Straßen dieser Stadt sicher fühlen – und tun es nicht. Das haben Sie zu verantworten, Herr Jung.
In Solidarität mit allen, die im Antifa-Ost-Verfahren und am ersten Juniwochenende von Repression betroffen sind,
Feministische Bibliothek MONAliesA